Generation Selbstausbeutung: Schneller, Besser, Weiter : Optimiere dich selbst!

07.06.2021

Wir leben in einer Welt die sich immer schneller dreht. Der Trend der Selbstoptimierung ist die Folge einer rasanten Entwicklung im Sozial- und Arbeitswesen, wer auf der Strecke bleibt verliert. Ein Leben ohne Smartphone wäre fast undenkbar, wir müssen erreichbar sein um arbeiten zu können. We have to keep up with the digital Trend! Was macht dieser Optimierungstrend mit unserem Körper und unserer Seele?

Menschen streben seit je her nach Verbesserung und Optimierung, sei es bei ihrem Handwerk, ihrem Ansehen in der Gesellschaft oder bei der Erziehung ihrer Kinder. Wenn wir in die Tiefe der Psyche der Menschen blicken, finden wir drei Basismotive menschlichen Handelns, Macht, Leistung und sozialen Anschluss. Das Leistungsmotiv verrät uns einen wichtigen Anhaltspunkt, wenn wir uns fragen, warum wir so versessen darauf sind, unsere Umgebung und vor allem uns selbst zu optimieren. 

Unser Handeln ist darauf ausgelegt unsere individuelle Leistung zu erhöhen und jene Steigerung auch nach außen hin preiszugeben. Nun hat sich dieses Streben nach Perfektion in den letzten Jahrzehnten in einem gewissen Ausmaß zu einem Lebensmotto und einem Trend entwickelt. Vor allem die jüngeren Genrationen, die mit einer gigantischen Vielfalt an Medien und Informationsbeschaffungstechnologien aufwächst, hat das Bild der Selbstoptimierung schon tief in sich verankert. 

Wann wird die Selbstsorge zu einer Selbstausbeutung? 

Im Zeitalter der Selbstoptimierung finden wir fast in allen Bereichen menschlichen Lebens Bedarf zur Verbesserung. Wir besuchen Fitnessstudios, lassen uns dort operieren wo das Training nicht weiterhilft, ernähren uns anhand von Superfoods gesund und nachhaltig, um unsere Motivation am Arbeitsplatz zu steigern, verwenden Selftracking Apps um unsere Körperaktivitäten zu überwachen, anstatt auszuschlafen, halten wir lieber Powernaps, wir sind dabei Menschen und Maschinen verschmelzen zu lassen, erfreuen uns an neuen Leistungsfähigkeiten, dank Neuro-Enhancements und sind am besten Wege Herrn Tod noch eine Weile auf uns warten zu lassen.

Ein Vorreiter der aktuellen Prestigemerkmale ist die Fitness, welche sich in den letzten Jahren zu einem Giganten in sämtlichen Wirtschaftsbranchen entwickelt hat. Die Fitnessindustrie boomt sowohl in Amerika als auch in Europa, an jeder Ecke lässt sich mittlerweile ein Fitnessstudio auffinden und in den meisten Haushalten reihen sich die Proteinshakes neben den selbstgemixten Smoothies. 

Die Mottos der populärsten Studios lauten, "Mach das Beste aus dir", oder "Werde Teil von etwas großem: Dir Selbst. #Dein Wille zählt". Mit anderen Worten, "Optimiere dein Selbst", die Fitness steht heute für eine Art Selbstverwirklichung. Man könnte sogar meinen, dass sich dadurch eine "Arbeit am Selbst" etabliert hat.

Wir haben neben unserem Beruf auch noch einen anderen Job, nämlich die Arbeit an unserem Körper und unserer Gesundheit. Ein gut trainierter Körper und eine gesunde Ernährung sind heute nach außen hin ebenso gültige Indikatoren für ein erfolgreiches Leben, wie es früher der Sportwagen oder der Karibikurlaub waren. 

Disziplin, Durchhaltevermögen und Veränderungsbereitschaft sind gern gesehen und zeugen von Willensstärke und Selbstvertrauen. Natürlich haben wir uns die neue Technik auch in diesem Bereich zu Nutzen gemacht und kleine Gerätschaften erfunden, die uns den Weg zu unserem "besseren Selbst" erleichtern und uns sogar die Möglichkeit geben, uns selbst auf diesem Pfad zu überwachen.

In unserer westlich geprägten Gesellschaft genießt das privilegierte Individuum von heute so viele Freiheiten wie nie zuvor. Gleichzeitig haben wir durch diese Bandbreite an Freiheiten und Möglichkeiten das Gefühl, diese auch effizient nutzen zu müssen. Dem Philosophen Byung-Chul Han zufolge ist diese gefühlte Freiheit stark mit einer gewissen Unfreiheit verbunden: 

"Wir glauben heute, dass wir kein unterworfenes Subjekt, sondern ein freies, sich immer neu entwerfendes, neu erfindendes Projekt sind. Dieser Übergang vom Subjekt zum Projekt wird vom Gefühl der Freiheit begleitet. Nun erweist sich dieses Projekt selbst als eine Zwangsfigur, sogar als eine effizientere Form der Subjektivierung und Unterwerfung. Das Ich als Projekt, das sich von äußeren Zwängen und Fremdzwängen befreit zu haben glaubt, unterwirft sich nun inneren Zwängen und Selbstzwängen in Form von Leistungs- und Optimierungszwang."

Dieser "Optimierungszwang" hat zur Folge, dass wir immer mehr vergessen, dass wir sensible Geschöpfe sind, die bei Überlastung krank werden. Wenn man sich die Burn-Out-Raten der letzten Jahre ansieht, scheint es fast schon zur Normalität geworden zu sein, dass Workaholics an einem Punkt in ihrem Leben gezwungen sind den Resetknopf zu drücken um ihr Leben schlagartig umzukrempeln. 

Wir sind umgeben von enorm leistungsfähiger Technik, welche uns im Glauben lässt, dass wir genauso zu funktionieren haben. Selbstsorge, oder das Streben nach Glück kann also schnell nach hinten losgehen und zu einer Selbstausbeutung werden. Wenn Tüchtigkeit, Verzicht, Anstrengung und Mäßigung von Lust schlussendlich nicht der richtige Weg zu einem glücklichen Leben sind, was sollen wir dann tun?

Heutzutage will sich jeder verbessern und optimieren, aber tun wir das für eine bessere Gemeinschaft oder lediglich für uns selbst? Unser Leben ist nur in der Gemeinschaft möglich, sobald wir uns auseinander bewegen, wird es für jeden und jede einzelne/n gefährlich. Immer mehr junge Leute fühlen sich in unserer Gesellschaft einsam, wir sind zwar alle Networker und kennen oberflächlich viele Menschen in unserem Umfeld, doch ergeben aktuelle Studien, dass sich 17 Prozent der Menschen zwischen 18 und 19 Jahren ständig oder häufig einsam fühlen. 

Wer den Weg der Selbstoptimierung einschlägt, nimmt dabei auch gern einmal in Kauf, für die präferierte Ausbildung ins Ausland zu gehen oder sich stundenlang allein daheim mit sich selbst zu beschäftigen. Sich Zeit für sich selbst und seine/ihre Interessen zu nehmen ist natürlich nichts Schlechtes, doch wenn es zur Gewohnheit wird, kann sich das durchaus negativ auf unser Wohlbefinden auswirken. 

Einsamkeit ist ein Schutzsignal des Geistes, genauso wie körperliche Beschwerden uns vor schwerwiegenden physischen Krankheiten warnen, warnt uns das Gefühl der Einsamkeit vor seelischem Schmerz. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das seit Anbeginn in Familienverbänden oder anderen Gemeinschaften lebte, wenn ein Individuum in Ausschluss geriet, hat das damals den Tod für den/die einzelne/n bedeutet. Alleine fühlen wir uns hilflos, unverstanden und verlieren das Gefühl von Sinnhaftigkeit im Leben. Der moderne Mensch trägt ununterbrochen ein Medium der Kommunikation bei sich, das Handy ist zu einer Erweiterung unseres Körpers geworden.