Die Epidemie der Einsamkeit

11.05.2021

Wir erleben in den letzten Jahren eine zunehmende Einsamkeitsstörung in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen sterben an Symptomen lang andauernder Einsamkeit, denn eine zu starke soziale Isolation kann krank machen und Auslöser für schwere Krankheiten sein. Noch nie haben sich so viele Menschen verschiedener Altersgruppen so viel allein gefühlt. 

Das Phänomen der sozialen Isolation

Was sind die ausschlaggebenden Gründe für das Phänomen der zunehmenden sozialen Isolation unserer Zeit? Die Forschung von Primack, Shensa und Sidani 2017 ergab in diesem Zusammenhang drei wichtige Faktoren der sozialen Isolation. Der erste Faktor ist naheliegend, da er das Grundproblem zum Ausdruck bringt: Je mehr Zeit auf Social Media verbracht wird, desto weniger Zeit wird mit FreundInnen und Bekannten im echten Leben verbracht. 

Man bedenke hierbei vor allem das Phänomen der Online-Gaming-World in welcher viele Kinder ihre Zeit nach der Schule verbringen, um sich dort mit FreundInnen online zu treffen. Gleichzusetzen ist die Tatsache, dass man sich oft über WhatsApp austauscht und danach das Gefühl hat, die jeweilige Person gar nicht mehr treffen zu müssen, da man sich davor ja ohnehin online "getroffen" habe. 

Das Henne-Ei-Problem: Was war zuerst da? Einsamkeit oder die exzessive Nutzung digitaler Medien?  

"Es ist möglich, dass junge Erwachsene, die sich bereits sozial isoliert fühlten, als Ausweg vermehrt soziale Medien nutzten und ihre Gefühle so verstärkten." (Primack, Shensa, Sidani, et al, 2017)

Die Forscher sprechen hier von dem Henne-Ei-Problem, da man sich nicht sicher ist, ob die Einsamkeit die jungen Menschen zur exzessiven Nutzung der digitalen Meiden verleitet, oder ob die übertriebene Nutzung der Medien die Menschen isoliert. Es konnte gezeigt werden, dass ein Zusammenhang zwischen der täglichen Nutzung von Social Media und der empfundenen Einsamkeit von einem Individuum besteht. TeilnehmerInnen einer Studie wurden aufgefordert ihre Nutzung auf zehn Minuten pro Tag zu beschränken. Die Ergebnisse zeigten, dass depressive Verstimmungen und vor allem das Gefühl von Einsamkeit in Korrelation zur gekürzten Zeit auf den Social-Media-Kanälen abnahmen (Hunt, Marx, Lipson, et al, 2018). Jemand der mehr als zwei Stunden pro Tag auf Social-Media-Plattformen verbringt, ist stark gefährdet sozial isoliert zu sein.

Zunehmende Gefühle der sozialen Isolation verbreiten sich in unserer Gesellschaft rasant, jene stellen vor allem die junge Genration vor scheinbar unüberwindbare seelische Hürden. Psychische Krankheiten sind heutzutage bei vielen Teenagern zur Normalität geworden, Besuche bei dem/der Therapeuten/in stehen für eine Großzahl am Wochenplan. Die kleinen Übeltäter, die jeder von uns in seiner Tasche trägt, werden oft erst gar nicht als Auslöser der aktuellen seelischen Probleme verdächtigt. 

Die scheinbare Abhängigkeit von den technischen Geräten, welche uns umgeben, lässt uns schwach werden und uns vermeidliche Hindernisse kreieren. Allein die Bewusstwerdung der täglichen Nutzung von Social-Media und Co. könnte vielen die Augen öffnen und sie erkennen lassen, dass es auch ein Leben vor der digitalen Revolution gab. Ein Leben, in dem man sich noch beim Essen in die Augen blickte und seinem Gegenüber Gehör schenkte, ohne sich dabei von einem Bildschirm ablenken zu lassen.

Der Soziologe, Hartmut Rosa, weist in seinen Werken daraufhin, dass Menschen verlernt haben miteinander in Resonanz zu treten. Das bedeutet, wir haben verlernt uns emotional tiefer auf unser Gegenüber einzulassen. Wenige nehmen sich noch wirklich Zeit für intensive Treffen mit Freunden oder Bekannten, welche nicht nur auf oberflächlichem Informationsaustausch beruhen. Die meisten sind mit ihren Köpfen schon beim nächsten Termin oder bei der nächsten Verabredung. In einer Welt, die sich immer schneller dreht, bekommen wir das Gefühl, uns renne die Zeit davon, dabei haben wir vergessen, dass wir Herr über unsere persönliche Zeit sind.

 Wir können entscheiden, worauf wir unsere Aufmerksamkeit und unsere Gefühle fokussieren. Ebenso wie wir es verlernt haben, können wir es uns auch wieder antrainieren, unsere Wahrnehmung auf die gesunden Sachen im Leben zu legen. Der Mensch spürt sehr schnell, wenn er sich in eine falsche Richtung bewegt, die ihm nicht gut tut. Er wird sensibel, erleidet an stressbedingten Erkrankungen und ist meistens erst dann gezwungen etwas an seinem Lebensstil zu ändern, wenn es bereits zu spät ist (Thoma, 2016). 

Bevor wir einer sozialen Entfremdung verfallen, die eine negative Distanz zwischen den Menschen schafft, sollte darauf geachtet werden, einander wieder näher zu kommen. Entfremdung taucht heutzutage an den ungewöhnlichsten Orten auf, sogar an jenen, die als gesellige Räume der sozialen Zusammenkunft galten. 

Quellenverzeichnis

Quellenverzeichnis

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